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Ausgangslage: Von wo können wir ausgehen?

Ob im privaten Wohnungsbau oder bei der Errichtung eines Verwaltungsgebäudes, immer stellt sich die Frage nach einem geeigneten System der Energieerzeugung und –umwandlung. Dabei sind es häufig Gesetze und Normen (wie die DIN 18599 oder die jetzt gerade in der neuen Fassung gültige Energieeinsparverordnung) oder auch Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten (wie sie z. B. die KfW bietet) und nicht zuletzt Energiestandards (wie der jetzt überarbeitete Passivhausstandard), die den Entscheidungsprozess wesentlich mitbestimmen. Mit den Ergebnissen des Klimagipfels, der vor wenigen Wochen in Paris stattgefunden hat, entsteht zudem eine neue Ebene. Wenn sich 200 Länder der Welt vereinbaren, bis 2030 die Klimagase so zu reduzieren, dass die Erderwärmung nicht mehr als 2°C erreicht und bis 2050 die Treibhausgasemissionen quasi auf 0 reduziert werden sollen, wird dies Einfluss auf die Bauprozesse und Bauentscheidungen haben (müssen).

Von wo aber können wir ausgehen, wenn es gilt Gebäude zu entwerfen und Energiekonzepte zu definieren? Baukonstruktionen sind zu wählen und haus- und energietechnische Systeme zu entwerfen, um ein umfassendes Nachhaltigkeits- und Energiekonzept für ein Gebäude zu erstellen. Um diesen Entwicklungsprozess zu leiten, bietet dieser kleine Beitrag drei Fragen an:

  • Wo denken wir hin?
  • Was rechnen wir uns aus?
  • Wie entscheiden wir?

Mit diesen Fragen werden im Entscheidungsprozess viele Themen berührt, die heute und zukünftig vermutlich verstärkt zu beachten und zu betrachten sind.

Systemgrenze: Wo denken wir hin?

Jeder Mensch verursacht durch sein ganz persönliches Leben Auswirkungen auf die Umwelt. Nahrungsmittel, die Art zu wohnen, die Art zu arbeiten und die Art, sich zu bewegen - all das führt zu einem ökologischen Fußabdruck, zu einem Carbon Footprint, der durch die persönlichen Entscheidungen beeinflusst wird. Die Frage nach dem geeigneten Heizsystem für ein Gebäude ist dabei viel zu kurz gegriffen, um ein nachhaltiges Energiekonzept zu entwerfen.
Es ist leicht vom Energiestandard auf den möglichen Energiebedarf zu schließen und die nach Wirkungsgrad und Kosten optimierte Lösung für die vorliegende Nutzung zu finden. Diese Systemgrenze ist allerdings viel zu eng, um die vielfältigen Energieaspekte zu umfassen, vielmehr stellt sich die Frage: Wo denken wir hin? Oder vielmehr noch: Wo denken wir uns hin?

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Bild 1:    Systemgrenzen

Anekdote: Die Systemgrenze in einem Bus in Kairo

Vor nicht allzu langer Zeit bin ich im Rahmen einer Reise zu einer biologischen Farm in Ägypten in Kairo längere Zeit mit einem Bus gefahren. Dabei war deutlich zu sehen: Der Busfahrer fühlte sich für seinen Bus und die Ordnung in seinem Bus verantwortlich. Bei jedem Halt wurde hier und dort ein wenig gefegt, der Müll gesammelt und in einem Mülleimer, direkt beim Busfahrer, gesammelt. Mitten während der Fahrt öffnete der Busfahrer dann das Fenster und schüttete den gesammelten Müll des Busses auf die Straße. So sieht es in Ägypten auch aus, alle Straßenränder sind von Müll und Unrat überfüllt - kein schönes Bild. Hier wird mir deutlich: Die Systemgrenze des Busfahrers ist die Außenwelt, die Welt außerhalb seines Busses. Hier fühlt er sich nicht mehr zuständig, hier wirft er seinen Müll hin.

Für die Entscheidung, welches Energiekonzept für welches Gebäude richtig ist, gilt es die Systemgrenze festzulegen. Die Auswahl des Heizsystemes für das Gebäude und die Nutzung ist dabei nur ein Schritt. Es stellen sich viele Fragen:

  • Wird dieses Gebäude in Zukunft selbst Energie erzeugen und z. B. durch eine Photovoltaikanlage den Eigenbedarf der Bewohner decken können?
  • Wird dieses Gebäude einen Energiestandard haben, der zu einem sehr reduzierten Energiebedarf führt (z. B. ein Passivhaus)?
  • Wie wird dieses Gebäude liegen, welchen Verkehr zur Arbeitsstelle (Mobilitätsbedarf) werden wir mit der Lage des Gebäudes erzeugen?
  • Wie viel Energieaufwand wird an der Arbeitsstelle entstehen?
  • Wie werden persönliche Reisen, wie z. B. Fernreisen die CO2-Bilanz beeinflussen?
  • Nicht zuletzt: Wie werden sich Primärenergiefaktoren, also der gesamte Energiemix entwickeln und sich damit Emissionen der Nutzung von Energie (gerade der elektrischen Energie) wesentlich verändern?

Die nur sehr überschlägige und musterhafte Betrachtung des Systems in Bild 1 zeigt dabei, dass

  1. allein die Wärmeversorgung für einen Menschen in einer Wohnungsgemeinschaft mit 4 Personen von 150 m² bei einem energieeffizienten Gebäude etwa 773 kg CO2 pro Jahr beträgt,
  2. bei der Stromnutzung von etwa 1.500 kWh/a entsteht etwa 700 kg CO2/a.
  3. Wird mit einer PV-Anlage der Strom selbst erzeugt, reduziert sich dies auf etwa 450 kg CO2/a.
  4. Mit der Nutzung des Gebäudes (Herstell-Energie, Betrieb und Entsorgung ohne Energiekosten) entstehen etwa 350 kg CO2 pro Jahr und Mensch.
  5. Für den Arbeitsweg von etwa 30 km entstehen allein 1.500 kg CO2.
  6. Für den Privatweg bei 10.000 km noch mal etwa 1.200 kg CO2.
  7. Rechnen wir dann noch mit Flugreisen von 2 x 5.000 km, addieren sich hierzu noch einmal 3.000 kg CO2 pro Mensch und Jahr.

Deutlich wird dabei: die Mobilität bestimmt die CO2-Bilanz ganz vordringlich. Auch zeigt sich, dass der Energiebedarf eines Gebäudes von großer Relevanz für die persönliche CO2-Bilanz ist. Hier lässt sich der Schluss ziehen: Energieeffiziente, energiesparende Gebäude sind der erste Schlüssel für ein nachhaltiges Energiekonzept. Mit der Reduzierung des Strombedarfes durch Energieeigenerzeugung, z. B. mittels einer Photovoltaikanlage und letztlich durch eine hocheffiziente Energieversorgung und Energieumwandlung, entsteht bei der Betrachtung einer umfassenden Systemgrenze ein Gesamtenergiekonzept.

Was rechne ich mir aus?

Die Betrachtung der Wirtschaftlichkeit einzelner Energiesysteme, aber auch des gesamten Gebäudes mit seinem Energiestandard, wird in der Regel in der Frage zusammengefasst: „Rechnet sich das auch?“. Demgegenüber steht die in der Umgangssprache häufig gestellte Frage: Was rechne ich mir aus? Hier wird in der Regel gar nicht von „rechnen“ im Sinne von Mathematik ausgegangen, sondern eine Erwartung formuliert: Ich rechne mir aus hier mindestens den 2. Platz zu gewinnen, ich rechne mir aus, dass dies und das gelingt! Diese Art von Ausrechnen ist die Formulierung einer Erwartung und es stellt sich die Frage inwieweit wir die ökonomische Betrachtung von energieeffizienten Gebäuden nicht auch unter diese Erwartungshaltung stellen können.

Ein kleines Rechenbeispiel zeigt wie unterschiedlich eine Betrachtung des gleichen ökonomischen Prozesses sein kann.

Beispielrechnung:
Für eine Sanierung einer Anlage mit  einer Investition von 7.000,- € entsteht eine  Einsparung . Die Betriebskosten sinken um 1.000,- €/a.
Jetzt stellt sich die Frage: Wie wird diese Investition ökonomisch beurteilt? Rechnet sich das auch?/ Was rechne ich mir aus?
Häufig wird für diese ökonomische Betrachtung eine einfache Amortisationsrechnung durchgeführt. Die Investitionskosten werden durch die Ersparnis geteilt, was in diesem Fall eine Kapitalrückflusszeit von 7 Jahren bedeutet. 7 Jahre heißt in der Industrie in der Regel: Es wird nicht investiert. Im umgangssprachlichen Bereich würde oft ausgedrückt: Das rechnet sich erst nach 7 Jahren (wie z. B. bei der Photovoltaik, die sich angeblich erst nach 12 oder 14 Jahren rechnet).
Ganz anders die Betrachtung der Vollkosten über die Lebensdauer: bei einem Betrachtungszeitraum von 10 Jahren und einer Abschreibung der 7.000,- € starken Investition über diese 10 Jahre und der angenommenen Ersparnis von 1.000,- €, entsteht ein Gewinn von 300,- € pro Jahr. Jedes Jahr wird also diese Anlage, diese Investition, wirtschaftlich sein und einen Gewinn erzeugen.

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Bild 2:    Kosten über die Lebensdauer

Jetzt stellt sich die Frage, eventuell eine  Fremdfinanzierung einzubeziehen. Geht man davon aus, dass ein Eigenkapital von 2.000,- € vorliegt und 5.000,- € zu 3 % finanziert werden müssen, entsteht bei einer Betrachtung über 10 Jahre immer noch ein Gewinn von 215,- € pro Jahr. Noch viel besser: Die Eigenkapitalverzinsung, bezogen auf den Gewinn, beträgt schon im ersten Jahr 10 %. Über den gesamten Zeitraum betrachtet beträgt die Eigenkapitalverzinsung sogar 20 % pro Jahr, damit eine ungemein wirtschaftliche Investition.

Es stellt sich somit bei der Wahl eines geeigneten Systemes weder die Frage „Rechnet sich das?“, sondern vielmehr die Frage: Was rechne ich mir aus, was ist meine Erwartung und wann werde ich in welchem Rahmen handeln können und wollen?

Wie handeln wir denn?

Der Entscheidungszusammenhang im privaten, wie im geschäftlichen Bereich setzt sich aus einer ganzen Anzahl von Teilbereichen zusammen, die jeder für sich einen großen Einfluss auf die tatsächliche Handlung haben. Aus einem ganz persönlichen Weltbild und einem Menschenbild entsteht zusammen mit einem Selbstbild ein Anspruch an die gestellte Aufgabe, in diesem Fall die Bauaufgabe. Hierauf folgend werden Ziele definiert und der gesetzliche Rahmen sowie der ökonomische Rahmen gefasst. Es entstehen in der Folge verschiedene Handlungsvarianten, die nach verschiedenen hier gebildeten Kriterien beurteilt werden. Dazu gesellen sich Bilder, Empfindungen als Vorgaben für die verschiedenen Varianten und es entsteht ein Lösungsansatz.

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Bild 3 : Bilder und Handlungen

Interessant ist, dass nach dem nachvollziehbaren Prozess Entscheidungen folgen und eine Realisierung entsteht, die nicht (immer) dem vorausgegangenen Prozess entspricht. Die im Begriff kognitive Dissonanz gefasste „Unlogik der Handlung“ beeinträchtigt und beeinflusst unsere Entscheidungsprozesse.

Dennoch bleibt festzustellen, dass bei der Wahl eines Heizsystemes zunächst zu fragen ist: Wo ist der gesamte Systemrahmen zu setzen? Hierauf folgend kann die Frage der Ökonomie zu ganz unterschiedlichen Ansätzen führen und in einen Gesamtentscheidungsprozess münden, der viel mehr ist als eine technische Entscheidungsfrage, der eher nah an die menschliche Haltung und Lebensperspektive heranrückt.

Fangen wir doch einfach an, zu tun - alles das zu tun, was offensichtlich richtig ist: Häuser so sparsam wie möglich zu errichten (Herstellenergie) und so die Gebäude - soweit denkbar - regenerativ mit Energie zu versorgen und diese Gebäude nah an unsere Arbeitsplätze zu legen.

Unser Lebensstil ist es, der über die CO2 Bilanz entscheidet, nicht der Wirkungsgrad unseres Heizsystemes.